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ADHS: Wie Führungskräfte Mitarbeitende stärken

20.08.2025 Viele Menschen mit ADHS stehen erfolgreich im Berufsleben, trotz oder gerade wegen ihrer Neurodiversität. Was können Sie als Führungskraft tun, um Mitarbeitende mit ADHS optimal einzubinden? Hier sind ausgewählte Tipps von unseren Expertinnen.

Tipps von Dalia Schipper, Co-Studienleiterin CAS Führungkompetenzen und Instrumente

So unterstützen Sie als Führungskraft:

  • Reduzieren Sie Ablenkungen, um konzentriertes Arbeiten zu ermöglichen.

  • Kommunizieren Sie deutlich, was wirklich wichtig ist und bieten Sie Checklisten an.

  • Geben Sie die Möglichkeit, grosse Aufgaben in kleinere Schritte zu unterteilen. 

Max S. arbeitet seit Kurzem als Sozialarbeiter auf einem mittelgrossen Sozialdienst. Nach ein paar Wochen merkt seine Teamleiterin Flavia K., dass bei ihm viele Fälle liegen bleiben. Gleichzeitig hat sie seine guten Ideen zu schätzen gelernt. Sie haben ihr Team in einem wichtigen Projekt vorangebracht. Im Gespräch zieht Max S. seine Vorgesetzte ins Vertrauen: «Vielleicht ist mein ADHS schuld. Ich wäre froh um Deine Unterstützung.»

Unsere Studienleiterinnen der Weiterbildungen im Bereich Integrative Führung kennen die Herausforderungen – aber auch die Stärken – von Menschen mit ADHS im Berufsalltag. Sie betonen: Neben strukturellen Anpassungen ist die innere Haltung von Führungskräften zentral, um neurodivergente Talente erfolgreich zu begleiten. Eine inklusive Führungskultur beginnt mit Verständnis, Respekt und der bewussten Entscheidung, Diversität nicht nur zu tolerieren, sondern aktiv zu fördern.

Hintergrundinformationen zu ADHS

In der Schweiz leben rund 200'000 Personen mit ADHS. Etwa die Hälfte davon steht erfolgreich im Berufsleben. Oft wird die Diagnose als Herausforderung gesehen: Die Veranlagung kann mit Auffälligkeiten in den Bereichen Aufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität oder auch mit motorischer Unruhe einhergehen. Die genauen Ursachen von ADHS sind nicht vollständig geklärt.

Im Büro- oder Stationsalltag kann dies heissen: eine Person erscheint manchmal unorganisiert, wechselt Themen schnell oder verliert sich in Details – gleichzeitig liefert sie in kreativen Phasen überdurchschnittliche Resultate, erkennt Zusammenhänge intuitiv und ist unter Druck besonders lösungsorientiert.

ADHS ist keine Schwäche – sondern eine neurologische Variation. Führungskräfte, die dies erkennen, können diese Potenziale gezielt aktivieren.

Ablenkungen reduzieren

Menschen mit ADHS verarbeiten Reize anders. Externe Ablenkungen wie Lärm, Bewegung oder ständige Unterbrechungen können die Reizfilterung zusätzlich überfordern. Ein ruhiges Arbeitsumfeld ist daher keine «Extrawurst», sondern ein wesentlicher Beitrag zur gleichberechtigten Teilhabe.

Konkrete Empfehlungen:

  • Einzelarbeitsplätze, Rückzugsräume oder Noise-Cancelling-Kopfhörer bereitstellen.
  • Home-Office ermöglichen oder flexible Arbeitszeiten vereinbaren, um produktive Phasen besser zu nutzen.
  • Arbeitsbereiche klar strukturieren und visuelle Reize (Poster, grelle Farben, Unordnung) reduzieren.

Innere Haltung:

Die Bereitschaft, Rahmenbedingungen individuell zu gestalten, zeigt Wertschätzung und signalisiert: «Ich sehe, was du brauchst, um dein Bestes geben zu können.»

Menschen mit ADHS brauchen keine Sonderbehandlung, sondern ein Umfeld, das Spielraum für ihre Arbeitsweise lässt – und Führungskräfte, die mit Vertrauen, Klarheit und Flexibilität führen.

  • Dalia Schipper Co-Studienleiterin Weiterbildungen zu Integrativer Führung

Klare Prioritäten

ADHS geht häufig mit Schwierigkeiten in der Selbststrukturierung und Priorisierung einher. Fehlen klare Ziele, geraten Betroffene leicht unter Druck – oder verlieren sich in weniger wichtigen Aufgaben.

Konkrete Empfehlungen:

  • Aufgaben priorisieren und visuell darstellen (z.B. mit Eisenhower-Matrix, Kanban-Boards)
  • Klare Erwartungen schriftlich festhalten, idealerweise ergänzt durch eine mündliche Besprechung
  • Prozesse erläutern, die in der Organisation «implizit bekannt» sind, aber nicht allen vertraut sein müssen

Innere Haltung:

Geduld, Klarheit und Transparenz sind Führungsqualitäten, die insbesondere bei neurodivergenten Teams Sicherheit schaffen.

Checklisten und Tools bereitstellen

Menschen mit ADHS profitieren stark von externen Strukturierungshilfen. Was neurotypischen Mitarbeitenden als selbstverständlich erscheint, kann für andere eine erhebliche kognitive Belastung darstellen.

Konkrete Empfehlungen:

  • Standardisierte Checklisten für sich wiederholende Prozesse
  • Tools zur Aufgabenverwaltung wie Trello, Notion, Asana oder digitale Kalender mit Erinnerungsfunktionen
  • Einführung in deren Nutzung im Rahmen eines Coachings oder Onboardings


Innere Haltung:

Tools sind keine Krücke, sondern Brücken – sie helfen dabei, Stärken gezielt einzusetzen und Ressourcen effizient zu nutzen.

Grosse Aufgaben unterteilen

Komplexe Projekte können überwältigend wirken und zu Aufschiebeverhalten führen. Das hat oft nichts mit Faulheit zu tun, sondern mit einer Dysregulation der Exekutivfunktionen – also der Steuerung von Planung, Impulskontrolle und Handlungsorganisation.

Konkrete Empfehlungen:

  • Aufgaben in überschaubare Etappen gliedern.
  • Realistische Zwischenziele und Deadlines vereinbaren.
  • Fortschritte visualisieren (z. B. in Form eines Gantt-Diagramms).

Innere Haltung:

Etappenziele vermitteln Machbarkeit. Führung bedeutet hier, Komplexität so zu gestalten, dass sie nicht lähmt, sondern motiviert.

Kurze, gut geplante Besprechungen

Lange oder schlecht strukturierte Meetings sind für viele Menschen anstrengend – für ADHS-Betroffene jedoch besonders herausfordernd, da die Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit über längere Zeit erschwert ist.

Konkrete Empfehlungen:

  • Klare Agenda und Zielsetzung vor dem Termin verschicken.
  • Timeboxing verwenden (z. B. max. 30 Minuten pro Thema).
  • Rollenverteilung klären: Wer ist beteiligt, wer moderiert, wer dokumentiert?

Innere Haltung:

Strukturierte Meetings sind ein Zeichen von Respekt – nicht nur gegenüber der Zeit, sondern auch gegenüber der kognitiven Energie der Mitarbeitenden.

Regelmässige und vertrauensvolle Check-Ins

Menschen mit ADHS erleben im Arbeitsalltag oft Unsicherheiten – etwa, ob sie Erwartungen erfüllen oder ob sie wahrgenommen werden. Regelmässige bilaterale Gespräche bieten Orientierung, Anerkennung und einen sicheren Raum zur Reflexion.

Konkrete Empfehlungen:

  • Wöchentliche oder zweiwöchentliche Check-Ins einführen.
  • Feedback sowohl zu Fortschritten als auch zu Stolpersteinen geben.
  • Zuhören, ohne vorschnell zu bewerten oder zu interpretieren.

Innere Haltung:

Echte Führung bedeutet, Beziehung vor Bewertung zu stellen. Vertrauen ist die Grundlage jeder produktiven Zusammenarbeit – besonders mit Menschen, deren Arbeitsweise nicht der Norm entspricht.

Fazit

Eine inklusive Arbeitskultur verlangt keine heroischen Führungsleistungen – sondern Empathie, Fachwissen und die bewusste Entscheidung, Unterschiedlichkeit als Stärke zu sehen. Menschen mit ADHS brauchen keine Sonderbehandlung, sondern ein Umfeld, das Spielraum für ihre Arbeitsweise lässt – und Führungskräfte, die mit Vertrauen, Klarheit und Flexibilität führen.

Unter Druck zeigen Menschen mit ADHS oft besondere Handlungsfähigkeit, da sie im Chaos geübt sind.

  • Manuela Grieser Co-Studienleiterin Weiterbildungen zu Integrativer Führung

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