Das Zwischenmenschliche wird dank KI wichtiger

09.04.2024 Wie wird KI die Bildungs- und Berufslandschaft verändern? Forscherin Mascha Kurpicz-Briki gibt im Gespräch mit Sarah Sartorius (tamedia) Auskunft über Chancen für inklusiveren Unterricht und mehr Lebensqualität sowie die Gefahr diskriminierender Daten.

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Kompetent genutzt, unterstützen digitale Werkzeuge die Menschen und werden nicht zu deren Konkurrenz. Bild: Adobe Stock

Frau Kurpicz-Briki, es scheint, als würden wir zurzeit von der rasanten Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) geradezu überrollt. Wie können wir einen gesunden Umgang damit finden?

Der gesellschaftliche Wandel und der Aufbau von Digital Skills oder E-Literacy, also die Fähigkeit, mit digitalen Werkzeugen umgehen zu können, braucht Zeit. Die Technologie ist da, jetzt müssen wir lernen, mit Verantwortung damit umzugehen und zu erkennen, wo ihre Grenzen sind. Eine Herausforderung ist, dass die Anwendungen einfach zugänglich sind, aber vielen nutzenden Personen die Limitationen nicht bewusst sind. Etwa, dass ein Chatbot auch falsche Informationen generieren kann. Wichtig ist: Es sind Werkzeuge, ich als Mensch brauche diese und entsprechend trage ich die Verantwortung. Ich finde übrigens den Begriff künstliche Intelligenz unpassend.

Wieso?

KI ist eine Unterstützung und nicht eine Konkurrenz. Ich spreche lieber von Augmented Intelligence (erweiterte Intelligenz). Der Begriff KI ist historisch geprägt und geht von der Faszination aus, dass man eine Maschine, ein Computersystem schafft, das so intelligent wie ein Mensch ist, oder den Menschen sogar ersetzen könnte. Der gesellschaftliche Wandel mit KI muss den Menschen dienen und ihre Bedürfnisse abdecken. Wenn wir dank KI effizienter arbeiten können, ist das eine Chance, etwa um Stress und Burnouts zu verringern. Durch das effizientere Arbeiten haben die Menschen vielleicht in Zukunft mehr freie Zeit und können achtsamer leben.

Welches sind die Chancen von KI für die Bildung?

Erstmal: Mit KI ist zurzeit meist ChatGPT gemeint, aber es gibt noch viele weitere Tools, die teils auch schon lange Teil unseres Alltags sind. Ich denke da etwa an die Autokorrektur oder Suchmaschinen. Grundsätzlich bietet KI einen grossen Mehrwert für die Bildung. Es bestehen diverse Möglichkeiten, individuelle Lernumgebungen zu schaffen und gewisse Aufgaben zu automatisieren.

Was bedeuten die neuen Werkzeuge für Lehrpersonen?

Als Lehrperson muss man sich überlegen, welche Kompetenzen man vermitteln möchte und was für die Schülerinnen und Schüler später im Berufsalltag relevant ist. Viele Anwendungsfälle sind im Moment nicht zielführend. Wenn ein Schüler zum Beispiel einen Text generiert über ein Thema, mit dem er sich selbst nicht auskennt und er nicht validieren kann, ob der Text inhaltlich stimmt, dann ist KI nicht das geeignete Tool dafür.

Schüler*innen und Studierende schreiben angeblich ganze Arbeiten mit Hilfe von Chat GPT. Wie lässt sich dies verhindern oder kontrollieren?

Es ist tatsächlich nahezu unmöglich festzustellen, ob ein Text von einem Menschen oder von einer Maschine geschrieben wurde. Anders als bei einem Plagiat, wo man den direkten Vergleich hat und beweisen kann, dass nicht korrekt zitiert wurde. Gerade bei grösseren Schreibarbeiten braucht es deshalb eine engere Begleitung als in der Vergangenheit. Damit die Lehrpersonen den Fortschritt besser einschätzen können und sehen, wie der Text entsteht. Dadurch kann kontrolliert werden, dass eine Arbeit nicht einfach einen Tag vor der Deadline künstlich generiert wurde. Meine Einschätzung ist, dass dank KI die zwischenmenschliche Interaktion wieder wichtiger wird.

Wenn das Zwischenmenschliche im Vordergrund steht, bedeutet das, dass Fleissarbeiten, wie etwa Tests korrigieren, von KI erledigt werden und die Lehrpersonen so entlastet werden könnten?

Es gibt sicherlich viel Potenzial. Etwa auch, dass man gewisse Sachen digitalisieren kann: Materialien, Unterlagen bis hin zu sehr individuellen Lernumgebungen, die den Vorteil haben, dass man verschiedene Lerntypen besser abholen kann. Dies macht den Unterricht inklusiver. Für die Aufbereitung und Zusammenstellung dieser digitalen Hilfsmittel wird das Knowhow und die Kreativität von Menschen jedoch umso mehr benötigt.

Ein wichtiges Anliegen von Ihnen ist die Sensibilisierung auf die Korrektheit der KI-Inhalte.

Bei einer Google-Suche prüft man die Quelle automatisch. Die neuen KI-Tools kommen anders daher, oftmals ohne Referenzpunkte und eloquent formuliert. ChatGPT erzeugt zudem die Illusion einer zwischenmenschlichen Kommunikation, dies kann einen Vertrauensvorschuss evozieren. Der Inhalt wird kaum in Frage gestellt oder geprüft. Dabei ist es ein auf Wahrscheinlichkeiten basierend erstellter Text, der Stereotypen reproduzieren und diskriminierend sein kann. Zudem werden die KI-Modelle meist von einzelnen grossen Tech-Firmen zur Verfügung gestellt. Es muss transparent gemacht werden, woher die Trainingsdaten stammen, mit denen die Tools gefüttert werden.

Autorin

Sarah Sartorius, Redaktorin Sonderbeilagen tamedia

Mascha Kurpicz-Briki ist Professorin für Data Engineering und Co-Leiterin der Forschungsgruppe Applied Machine Intelligence an der Berner Fachhochschule. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf automatische Textverarbeitung und Sprachmodelle. Ihr Buch «More than a Chatbot – Language Models Demystified» (2023) ist im Springer Verlag erschienen.

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