Digitalisierung im Dienste der Nachhaltigkeit – Matthias Stürmer im Interview mit der SBB

27.03.2023 Matthias Stürmer gibt Auskunft über die aktuellen Fragen zu Energiemassnahmen, das Sparpotenzial im IT-Bereich mit den Rechenzentren und wie man selber den Verschleiss von Hardware reduzieren kann. Der SBB als Grossunternehmen verleiht er gute Noten, da sie mit der Open Rail Foundation vorbildlich agieren in Bezug auf Open Source und die Freigabe von öffentlichen Daten.

Auf welche grösseren Innovationen ist eine umweltschonende Digitalisierung in Zukunft angewiesen?

Ein grosses Problem der wachsenden Digitalisierung sind die Herstellung und die Entsorgung von Informatik-Hardware - in der Schweiz sind es pro Jahr und pro Kopf rund 23kg Elektroschrott. Würden weniger Smartphones, Laptops oder Server gekauft, bräuchte es auch weniger Rohstoffe und Energie für deren Herstellung und es würde weniger Elektroschrott anfallen. Allerdings ist das nicht im Interesse der Hersteller, folglich braucht es strengere Gesetze. Auf EU-Ebene soll deshalb ein «Right to Repair» eingeführt werden, damit die Elektronik-Produkte langlebiger und reparierbar sind. Somit wäre die notwendige Innovation, dass IT-Geräte künftig modularer werden und von den Users selber repariert werden können - so wie beispielsweise schon heute beim Fairphone.

Welche Energiemassnahmen bezüglich IT sind in Grossunternehmungen wie der SBB angebracht?

Der Stromverbrauch von Rechenzentren wächst gewaltig, da der Bedarf an leistungsfähigen und zuverlässigen IT-Systemen steigt. In der Schweiz verbrauchen die Rechenzentren bereits fast soviel Strom wie der Eisenbahnbetrieb der SBB. Deshalb macht es einerseits Sinn, dass bestehende Informatik-Lösungen gebündelt betrieben und die Server beispielsweise in einigen wenigen Rechenzentren stationiert werden, anstelle sie in vielen unterschiedlichen Räumen laufen zu lassen. Andererseits ist es bei neuen Beschaffungen sinnvoll, auch auf ökologische Aspekte wie die benötigte Energie von Applikationen zu achten, denn es ist letztlich die Software, welche den Stromverbrauch bestimmt. Speziell moderne Anwendungen der künstlichen Intelligenz sind enorm Ressourcen-hungrig.
Das Wissen wäre vorhanden, denn ein Leitfaden zur umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung von Software wurde beispielsweise bereits 2019 durch das deutsche Umweltbundesamt veröffentlicht. Auch gibt es ein detailliertes Label des Blauen Engels für ressourcen- und energieeffiziente Softwareprodukte. Meines Wissens wurden diese Unterlagen bisher in der Schweiz jedoch noch nicht in der Praxis angewendet.

Welche digitale Zukunftsvision im Einklang mit der Natur verfolgen Sie persönlich?

Mir ist es wichtig, dass die Digitalisierung im Dienste der Nachhaltigkeit steht und selber möglichst wenig Schaden an der Umwelt und der Bevölkerung anrichtet. Gleichzeitig setze ich mich über die Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit seit vielen Jahren für die digitale Nachhaltigkeit ein: Digitales Wissen wie Bilder, Texte, Software und Daten soll möglichst vielen Menschen langfristig zugänglich sein. Wenn Computer-Programme als Open Source Software oder Daten aus dem öffentlichen Sektor als Open Government Data frei verfügbar sind, erhöht das den Nutzen der Digitalisierung für unsere Gesellschaft.
Übrigens, die SBB geht in diesem Punkt vorbildlich voran: Künftig wird sie zusammen mit der Deutschen Bahn und der französischen Staatsbahn SNCF unter dem Dach der OpenRail Foundation Open Source Software entwickeln. Und die SBB engagiert sich seit vielen Jahren für die Freigabe und Anwendung von Open Government Data auf data.sbb.ch.
Mehr über Digitalisierung und Nachhaltigkeit kann übrigens in einer Online-Publikation zusammen der Digitalen Gesellschaft nachgelesen werden.

Das Interview mit Prof. Dr. Matthias Stürmer (Professor und Leiter des Instituts Public Sector Transformation der BFH, Dozent und Leiter Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit der Universität Bern, Geschäftsleiter Parldigi, Präsident CH Open und Digital Impact Network, Vorstandsmitglied Opendata.ch) führte UEM-Praktikantin Lorena Winiger.

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