Warum soziales Unternehmertum die Welt besser macht

03.03.2023 Social Entrepreneurship wird grosse gesellschaftliche Herausforderungen bewältigen – dies ist in der Fachwelt Konsens. Doch fehlte in der Forschung bisher noch ein übergeordneter Rahmen wie es dieser Ansatz konkret schafft, sozialen Nutzen zu erzielen. Diesen hat unsere Forscherin Nadine Gurtner nun zusammen mit Kolleg*innen publiziert.

Warum eignet sich soziales Unternehmertum, grosse Problemstellungen anzugehen? Welche besonderen Eigenschaften bringt es mit sich, das kommerzielle Unternehmen oder reine Non-Profit Organisationen nicht haben? 

Nadine Gurtner: Social Entrepreneurship zeichnet sich dadurch aus, dass Unternehmungen eine soziale Mission in den Vordergrund ihrer Tätigkeiten stellen und diese oft mit innovativen Ansätzen angehen. Diese sozialen Missionen können sehr vielfältig sein und beispielsweise die Integration von benachteiligten Personen oder die Verbesserung deren Lebensstandards betreffen, aber auch die grundsätzliche Änderung von Werten und Verhaltensweisen in einer Gesellschaft z.B. in Richtung Nachhaltigkeit.  

In Kontrast zu Non-Profit Organisationen versucht soziales Unternehmertum die soziale Mission aber über Marktmechanismen zu erzielen. Einkommensgenerierende Tätigkeiten - damit das Unternehmen zumindest selbsttragend ist - gehören deshalb zur strategischen Ausrichtung der Unternehmung. Ich denke, ein grosser Vorteil von Social Entrepreneurship kann deshalb sein, dass sie ihre soziale Mission langfristig im Marktsystem ausführen können, da sie bei einem funktionierenden Geschäftsmodell nicht auf Spenden oder das Engagement einzelner engagierter Person angewiesen sind.  

Was für Herausforderungen kann man mit SE lösen?  

Wir unterscheiden in unserer aktuellen Studie illustratorisch zwei Arten von positiven sozialen Effekten: 

  • Sozialer Mehrwert bezieht sich im Kontext eines sozialen Problems oder Bedürfnisses auf die Schaffung und Erhöhung von Kund*innennutzen oder das Profitieren von Akteur*innen, die eigentlich nicht Teil der Markttransaktion sind (durch Spill-Over-Effekte). Solcher sozialer Mehrwert wird für Individuen oder Gemeinschaften generiert und umfasst beispielsweise die Verbesserung individueller Fähigkeiten, des Einkommens oder der Gesundheit.  

  • Sozialer Wandel bezieht sich hingegen auf die Gesellschaft an sich, da dieser grundlegend Marktversagen angeht; institutionelle Gegebenheiten, Marktstrukturen sowie gesamtgesellschaftliche Normen und Wert ändert. Dazu zählen würde beispielsweise die gross-skalige Reduktion negativer ökologischer Externalitäten, wenn es eine CO2-Bepreisung geben würde.  

Was können Soziale Unternehmen, was andere nicht können? 

Da soziales Unternehmertum oft von kleineren Unternehmungen und Start-ups betrieben wird, können sie vor allem gut sozialen Mehrwert generieren. Sie nutzen dazu verschiedene Mechanismen. Sie bringen beispielsweise neue Produkte auf den Markt, die ein bisher nicht adressiertes soziales Bedürfnis erfüllen und die beispielsweise preislich günstig sind und so Zugang für Kund*innen schaffen, deren soziales Problem bisher nicht angegangen wurde (z.B. günstige und einfache Prothesen für ehemalige Kriegsgebiete). Sie befähigen zudem benachteiligte Personen ihre Fähigkeiten und Beziehungen zu stärken und selbst am Markt aktiv zu werden, beispielsweise durch Training, Bildung oder das Bereitstellen von Ressourcen. 

Können soziale Unternehmen auch die Folgen des Klimawandels lösen? 

Um den Klimawandel anzugehen und sozialen Wandel herbeizuführen, können soziale Unternehmer*innen beispielsweise Innovationen und Geschäftsmodelle entwickeln, die negative Externalitäten reduzieren und internalisieren, positive Externalitäten produzieren oder internalisieren und neue Märkte schaffen, indem sie bisher ausgeschlossene Personen auf Angebots- und Nachfrageseite zusammenbringen. Beispielsweise könnten sie ihre Produkte verleihen statt verkaufen, deren Produktlebenszyklus verlängern und so den ökologischen Fussabdruck reduzieren. Am wichtigsten – und da sehe ich eine grosse Rolle des sozialen Unternehmertums – ist jedoch, dass sie Vorreiter*innen sind, wie soziale und ökologische Aspekte vereint werden können und anschliessend andere Marktakteur*innen wie grosse Unternehmen, aber auch die Politik und Gesellschaft stimulieren, einen Beitrag für den sozialen Wandel zu leisten. Damit grundlegende Änderungen in institutionellen Strukturen und Werten stattfinden, müssen schliesslich viele Akteur*innen eingebunden werden.  

Wie geht das konkret? 

Konkret kann das beispielsweise heissen, dass soziale Unternehmen Proof-of-Concepts für innovative ökologische Technologien oder soziale Geschäftsmodelle liefern und so die Unsicherheit über deren Erfolg reduzieren und Wettbewerbsdruck für andere aufbauen nachzuziehen. Auch können soziale Unternehmungen Partnerschaften eingehen, um mehr Ressourcen für die soziale Mission zu erhalten und ihre Wirkung so auszuweiten. Wenn es soziale Unternehmungen zudem schaffen in Präsenz zu treten und Diskurse auszulösen, können sie auch regulatorische Änderungen bewirken. 

Beim Sozialen Unternehmertum sind die Gründer*innen häufig zentral. Welche Rolle spielen sie, um sozialen Mehrwert und sozialen Wandel zu erreichen?  

Soziale Unternehmungen werden häufig gegründet, weil eine einzelne Person ein besonderes Engagement verfolgt, sozialen Mehrwert für eine bestimmte Zielgruppe zu erzielen. Diese hohe Motivation braucht es oft, um risikoreiche neue Wege wie mit einem neuen sozialen Geschäftsmodell zu gehen. Oft haben die kleinen sozialen Unternehmungen auch einen direkten Zugang zu den Begünstigten und werden von diesen besser akzeptiert als grosse Unternehmungen. Damit dieser Fokus auf eine bestimmte Mission auch weiter besteht, wenn das Unternehmen wächst oder die Gründungsperson geht, muss diese gut im Geschäftsmodell verankert und institutionalisiert werden. Und einzelne Gründungspersonen mit kleinen Unternehmungen allein können nur selten sozialen Wandel auslösen. Aber nicht nur aufgrund der Grösse und Wirkungsradius von sozialen Unternehmungen sehen wir die Notwendigkeit des Einbezugs weiterer (Markt-)Akteur*innen.  

Aktuell ist es so, dass die Ausrichtung der sozialen Unternehmung – also welchen sozialen Mehrwert sie für wen generieren möchte – oft einseitig von der Gründungsperson bestimmt wird. Wir wissen nicht, ob diese Entscheidungen dieselben wären, wenn sie unter Einbezug der Begünstigten oder anderer Stakeholder getroffen worden wären. Sprich, es ist unklar, ob eine einzelne Gründungsperson die Verantwortung haben sollte zu bestimmen auf welchen sozialen Mehrwert, auf welche Begünstigte und Wege zur Erreichung fokussiert wird. 

Ihr habt in eurer Forschung beschrieben, wie soziales Unternehmertum sozialen Mehrwert und Wandel erzielen kann – wie geht es nun weiter? 

Unternehmen können nun versuchen die von uns identifizierten Mechanismen zu nutzen, um Geschäftsmodelle und Innovationen zu entwickeln, die über Marktmechanismen sozialen Mehrwert generieren oder sozialen Wandel stimulieren. Beispielsweise beschreiben wir, dass sozialer Mehrwert durch das Bereitstellen und Entwickeln von humanem und sozialem Kapital der Begünstigten generiert werden kann, damit sie dann die Fähigkeiten haben sich selbst nachhaltig zu helfen. Unternehmen können nun überlegen wie sie dies umsetzen können und Begünstigte beispielsweise in ihre Geschäftsmodelle als Angestellte oder Franchisenehmer einbeziehen können. 

Was bedeutet das für Unternehmen und Gesellschaft? 

Die Gesellschaft an sich muss zudem diskutieren welche Rolle soziales Unternehmertum bei der Adressierung von gesellschaftlichen Herausforderungen wie der Sustainable Development Goals spielen sollte. Wir sehen viel Potential, aber welche Verantwortung können und dürfen soziale Unternehmungen hier einnehmen? Wer ist verantwortlich, wenn es nicht gelingt den vorgenommenen sozialen Wert zu schaffen? Wie können wir Verantwortlichkeiten überhaupt definieren, wenn sozialer Wandel an sich schon schwer messbar ist? Es braucht vermutlich demokratische Ansätze, um auch zu definieren welche sozialen Problematiken priorisiert werden sollen. Denn es bestehen Abhängigkeiten und die Generierung von sozialem Mehrwert und sozialem Wandel sind miteinander verknüpft – nicht immer nur positiv. Einige Parteien argumentieren beispielsweise, dass soziale Unternehmungen nur Symptome bekämpfen und somit sogar tiefgreifende Änderungen verhindern. Wenn soziales Unternehmertum insgesamt wichtiger wird, müssen wir auch gesamtgesellschaftlich deren Rolle diskutieren. 

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