Virtuelles Training für Bewerbungsgespräche – in der Praxis getestet

22.09.2023 Kann Virtual Reality auch in der Praxis der Arbeitsintegration wertvolle Dienste leisten? Zusammen mit der GEWA in Zollikofen haben wir ein virtuelles Bewerbungsgesprächstraining getestet und evaluiert. Wie kam es bei den Anwender*innen an? Welche Effekte konnten beobachtet werden?

Virtuelles Büro mit einem Avatar, der an einem Schreibtisch sitzt. Im Hintergrund ein Bücherregal.
Der Avatar nimmt die Rolle des Arbeitgebers ein.

Menschen, die eine Arbeitsstelle suchen, stehen vor der Hürde eines Bewerbungsgesprächs. Für viele ist das eine anspruchsvolle und stressige Situation, die Ängste auslösen kann. In der Arbeitsintegration bieten Fachleute der Sozialen Arbeit ihre Unterstützung an, um Menschen auf diese Gespräche vorzubereiten. Die Technologie der virtuellen Realität eröffnet hierbei sinnvolle und ergänzende Trainingsmöglichkeiten: Dabei nimmt eine virtuelle Person – ein sogenannter Avatar – die Rolle des Arbeitgebers ein und stellt den Bewerber*innen bestimmte Fragen. Der Vorteil eines solchen virtuellen Interviewers liegt darin, dass ein Avatar geduldig, diskret und jederzeit verfügbar ist (Schmid Mast, Kleinlogel, Tur & Bachmann, 2018). Durch diese Art von Training kann man sich in einer sicheren Umgebung und im eigenen Tempo auf ein reales Bewerbungsgespräch vorbereiten. 

Das Ziel unserer Studie war es, das virtuelle Bewerbungsgesprächstraining (vBGT) in der Praxis zu implementieren und zu evaluieren. Die Perspektive der Nutzer*innen stand dabei im Zentrum, besonders die Akzeptanz der Technologie. Zusätzlich haben wir die Leistung der Teilnehmer*innen in Bewerbungsgesprächen zu Beginn und am Ende des Trainingszeitraums verglichen. Auch wollten wir wissen, ob das Training dazu beiträgt, die Angst vor Bewerbungsgesprächen zu verringern.

Ich fand es eine spannende Sache. Am Anfang war es komisch, quasi mit mir selbst ein Gespräch zu führen, aber durch die Funktion, dass man sich selbst danach zuhören und auch mit jemandem besprechen konnte, was man besser machen kann, hat sich die Teilnahme an der Studie gelohnt. Für mich ist das Bewerbungstraining eine gute Sache, von der, meines Erachtens, vor allem Menschen profitieren können, die noch nie ein Bewerbungsgespräch oder nur wenige hatten.

Aussage einer Studienteilnehmerin

Das virtuelle Training

Das von uns in dieser Studie verwendete vBGT ist ein webbasiertes Computerprogramm. Es erfordert lediglich ein Notebook mit Internet und integrierter Kamera.

Wie läuft so ein Training ab? Nach dem Öffnen des Programms wählt man die Sprache: Deutsch oder Schweizerdeutsch. Weiter entscheidet man sich für die Komplexität der Fragen. Es stehen «kurze» oder «herausfordernde» Fragen zur Verfügung. Nun erscheint der Interviewer (Avatar) auf dem Bildschirm und das Bewerbungsgespräch kann gestartet werden. Am Schluss wird ein Video des*der Übenden mit den Antworten lokal auf dem Notebook gespeichert. Es wird den Übenden überlassen, was mit dem eigenen Video geschieht. Man kann die eigenen Antworten nun selbst anschauen oder allenfalls im Rahmen eines Coachings mit einer Fachperson oder mit Peers teilen und besprechen. Mit diesen Hinweisen können beim nächsten Übungsdurchgang neue Antworten ausprobiert werden, bis man zufrieden ist und sich sicher fühlt. 

Projekt von BeLEARN gefördert

Diese Evaluationsstudie wurde im Rahmen von BeLEARN finanziert. BeLEARN ist ein Hub für Digitalisierung in der Bildung und besteht aus einem Verbund der Berner 
Hochschulen und den eidgenössischen Institutionen EHB und EPFL. 

Das hier verwendete virtuelle Trainingsprogramm wurde in Kooperation mit der Universität Lausanne entwickelt. Für die Pilotstudie mit der GEWA (Stiftung für berufliche Integration) in Zollikofen haben wir es angepasst und modifiziert. Es war wichtig, dass wir eine einfache und möglichst einheitliche Version testen konnten. Konkret haben wir die Fragen vereinfacht, also ein Fragenset mit «kurzen» Fragen hinzugefügt. Auch wurde nur ein männlicher Avatar verwendet. In der kompletten Version gäbe es spezifische Fragesets für unterschiedliche Zielgruppen, zum Beispiel für Studierende oder für Bewerbende auf Kaderstellen. Darüber hinaus können die Anwender*innen in der Originalversion zwischen einer freundlichen oder unfreundlichen Avatar-Version wählen, um den Stress im Training zusätzlich zu erhöhen. Das Training ist in mehreren Sprachen verfügbar. 

Anspruchsvolle Begleitung

Auf der Seite der GEWA-Arbeitsintegration fanden sich mit Chris Hess und Beatrice Hofmann zwei motivierte und kompetente Studienleitende. Chris Hess organisierte die Durchführung und die Rekrutierung der Teilnehmenden innerhalb der GEWA. Seine Erfahrung und sein Engagement waren für die Umsetzung der Studie entscheidend. Über 40 Personen wurden für die Teilnahme an der Studie angefragt. Zu Beginn nahmen 27 Personen teil. Lediglich 17 Studienteilnehmende absolvierten die ganze Trainingsphase. Viele mussten aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Einige der Angefragten fühlten sich nicht selbstbewusst genug, um Videos von sich für eine Studie zu erstellen. Hemmungen und Blockaden bedeuteten einen grossen Aufwand für die betreuenden Personen: Sie mussten die Teilnehmenden für das mehrere Wochen dauernde Training aktiv motivieren. 

Was mir am meisten geholfen hat, war das
'reale' Feedback vor der letzten Runde. Ich finde, dass ein reales Feedback essenziell ist, dass man sich verbessern kann. Sonst dreht man sich nur im Kreis, begegnet bei jedem Üben wieder den gleichen Unsicherheiten, Problemen etc.

Aussage einer Studienteilnehmerin

Befragung und Videoauswertung

Für die Messung der Akzeptanz orientierten wir uns am Technology Acceptance Model von Davis (1989). Dieses Modell beinhaltet drei Konstrukte, die zusammen die Akzeptanz einer neuen Technologie erfassen. Die drei Konstrukte sind wahrgenommene Nützlichkeit (z. B. «Das virtuelle Bewerbungsgesprächstraining stellt eine gute Vorbereitung auf eine Bewerbung dar.»), wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit (z. B. «Das virtuelle Bewerbungsgesprächstraining ist einfach zu benutzen.») und Verhaltensabsicht (z. B. «Wenn ich Zugang zum virtuellen Bewerbungsgesprächstraining hätte, würde ich es vermutlich nutzen.»).

Für die Leistung in den Bewerbungsgesprächen nutzten wir je ein Video pro Teilnehmer*in vom Anfang und vom Ende der Trainingsperiode. Diese Videos wurden nach Inhalten (Qualität der Antworten) und allgemeinen Kriterien der Sprachkompetenz (z. B. Redefluss) von zwei geschulten wissenschaftlichen Mitarbeitenden bewertet. Schliesslich erhoben wir mit dem standardisierten Fragebogen die allgemeine Angst vor Bewerbungsgesprächen (McCarthy & Goffin, 2004) am Anfang und am Ende der Trainingswochen. 

Als Mehrwert erachte ich, dass man mit dem Avatar wirklich sprechen muss – es reicht nicht, dass ich mir in Gedanken im Kopf Sätze formuliere, die ich am nächsten Bewerbungsgespräch sagen möchte. Ich muss sie wirklich aussprechen. Dies sehe ich zumindest für ungeübte, unsichere, aber auch für junge Bewerbende als grossen Mehrwert.

Beatrice Hofman, berufliche Integration Bildung und Innovation, GEWA

Ergebnisse und Erkenntnisse

Insgesamt hatten wir bei den Messungen mit dem Technologie-Akzeptanzmodell durchgängig positive Werte. Das heisst, die Anwender*innen fanden das Programm einfach zu benutzen und erachteten es als sinnvoll für die Vorbereitung. Weiter kam heraus, dass sie es benutzen würden, wenn es ihnen zur Verfügung stünde. 

Trotz der hohen Akzeptanz und des wahrgenommenen Nutzens des Trainings konnten wir in den Videos dieser relativ kleinen Stichprobe keine Unterschiede in der Leistung feststellen (vorher – nachher). Das Gleiche gilt für die Reduktion der Angst – auch hier gab es keine bedeutenden Unterschiede. Es war offenbar so, dass das Training für eine nachhaltige Desensibilisierung zu kurz war. Durch die Rückmeldungen der GEWA-Coaches wurde die Annahme bestätigt, dass ein professionelles Feedback fruchtbar und nötig ist. Das vBGT wird also eher als zusätzliches Training gesehen und nicht als Ersatz für die herkömmlichen Vorbereitungen. Das hier implementierte und evaluierte virtuelle Bewerbungstraining offenbart viel Potenzial. Man kann davon ausgehen, dass eine erweiterte und verbesserte Version in Zukunft in der Arbeitsintegration sinnvoll eingesetzt werden kann.

Literatur

  • Davis, F. D. (1989). Perceived Usefulness, Perceived Ease of Use, and User Acceptance of Information Technology. MIS quarterly, 13(3), 319–340. doi:10.2307/249008
  • McCarthy, J., & Goffin, R. (2004). Measuring Job Interview Anxiety: Beyond Weak Knees and Sweaty Palms. Personnel psychology, 57(3), 607–637. doi:10.1111/j.1744-6570.2004.00002.x
  • Schmid Mast, M., Kleinlogel, E. P., Tur, B., & Bachmann, M. (2018). The future of interpersonal skills development: Immersive virtual reality training with virtual humans. Human resource development quarterly, 29(2), 125–141. doi:10.1002/hrdq.21307

Dieser Artikel ist im September 2023 im Printmagazin «impuls» erschienen.

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