Wie wirkt Virtual Reality?

03.08.2023 Kann Virtual Reality die Entwicklung professioneller Kompetenzen effektiv fördern? Wie lässt sich die Wirkung erklären? Und welche Herausforderungen stellen sich in der An­wendung in der Ausbildung, Weiterbildung und Praxis? Wir berichten aus sechs Jahren Erfahrung mit unserem Virtual-Reality-Labor.

Interaktionen mit Klient*innen üben – ohne sie? Ja, klar, das geht! Immersive Virtual Reality ist eine Technologie, die es erlaubt, in virtuelle Welten einzutauchen und mit künstlichen Personen (Avataren) zu interagieren.

Für die Soziale Arbeit bietet sich dies sogar besonders an. Da durch Üben Fähigkeiten und Kompetenzen erst angeeignet und entwickelt werden, ist diese simulierte Form der Interaktion ohne Klient*innen nicht nur aus praktischen, sondern auch aus ethischen Gründen angezeigt: Die Interaktion mit Klientinnen und Klienten erfordert aufgrund von deren Hilfe- und Unterstützungsbedarf hinreichendes Können. 

Vielfältige Trainingssettings

Das Departement Soziale Arbeit hat 2017 ein Virtual-Reality-Labor lanciert und Trainingssettings für die Entwicklung der professionellen Kompetenzen der Bachelor-Studierenden entwickelt.

Zu Beginn stand die Beratung als zentrale Form der Unterstützung durch die Soziale Arbeit im Zentrum. Zur Auswahl stehen heute Trainingssettings für Fälle aus der Schulsozialarbeit, der Kinder- und Jugendhilfe, der betrieblichen Sozialarbeit, der kirchlichen Sozialarbeit, der klinischen Sozialarbeit, der sozialpädagogische Familienbegleitung, der Opferhilfe und der Beratung von Menschen in der Lebensphase Alter.

Grundsätzlich können sich die Verantwortlichen vielfältige professionelle Handlungskompetenzen mit dieser Technologie aneignen und diese entwickeln. Mittlerweile wurden auch Trainingssequenzen zur Auftrittskompetenz und für Bewerbungsgespräche entwickelt. 

Die Trainingsumgebung

Das Virtual-Reality-Setting simuliert professionelle Handlungssituationen mit virtuell handelnden Personen in einer virtuellen Umgebung. Die übende Person taucht in diese Welt mit einer Virtual-Reality-Brille ein. Die zwei in den beiden Seiten der Brille eingelassenen Bildschirme repräsentieren die virtuelle Umgebung und die virtuellen Personen stereoskopisch. Ein Kopfhörer gibt die Umgebung und das Sprechen der virtuellen Personen akustisch wieder. Die virtuelle Umgebung, die Handlungssituationen und Interaktionen sind programmiert. Sie folgen einem Skript und sind in diesem Sinne standardisiert und wiederholbar. Das Training erfolgt im Virtual-Reality-Labor, das die Infrastruktur für das Training bereitstellt. 

Eine gewisse Skepsis, wie ein solches Trainingssetting professionelle Handlungskompetenzen fördern kann, mag angebracht sein. Die Wirkung erklärt sich aber nicht aus diesem Trainingssetting allein, sondern aus der Reflexion des eigenen Handelns in dieser Situation. Deshalb sei das weitere Setting kurz erläutert. 

Vorbereitung – Training – Reflexion

Als Vorbereitung für das Virtual-Reality-Training lesen die Studierenden ein Dossier mit Informationen zum Trainingssetting. Als Teil der Instruktion klärt es den Auftrag im Training, besondere Themen oder Probleme, die behandelt werden, und die Frage, auf welchen Ebenen der Interaktion diese angesprochen werden sollen.

In der zweiten Phase nehmen die Studierenden einzeln Termine im Virtual-Reality-Labor wahr und absolvieren das Training. Dieses dauert sinnvollerweise nicht zu lange – in unseren Trainingssequenzen sind es etwa zehn Minuten, die auf Video aufgezeichnet werden.

Die aufgezeichneten Gespräche stehen den Studierenden anschliessend zur Verfügung und bilden die Grundlage für die Selbstreflexion oder – wie in unseren Lehrsettings üblich – für Peergruppengespräche mit Lehrpersonen. In diesen Peergruppengesprächen visieren die Studierenden gemeinsam mit einer Lehrperson die Aufnahmen. Die inhaltlichen Äusserungen sowie das para- und nonverbale Verhalten der Studierenden werden gemeinsam beobachtet, reflektiert und analysiert. Gleichzeitig können die individuellen Interventionen und Reaktionen der einzelnen Studierenden verglichen werden. 

Ein Student übt mit der Virtual-Reality-Technologie.

Kompetenzerwerb über kritische Selbstreflexion

Die Entwicklung komplexer Kompetenzen, die nicht allein durch Wiederholung des Ganzen oder in Teilen eingeübt werden können, erfolgt über die kritische Selbstreflexion (vgl. Zdunek, im Erscheinen). Einzig indem wir unser Handeln in den Aspekten unseres Tuns, Denkens und Fühlens reflektieren und Schlüsse in unser künftiges Handeln einfliessen lassen, können wir unsere Kompetenzen und letztlich uns als Persönlichkeiten weiterentwickeln. Alles andere wäre mechanisches oder technisches Abrichten. Es besteht Einigkeit darüber, dass gerade die Nicht-Standardisierbarkeit das professionelle Handeln auszeichnet. Das skizzierte Trainingssetting unterstützt die kritische Selbstreflexion sehr stark – nicht zuletzt deswegen, weil wir uns mit den Peers vergleichen. Dies erweitert das Repertoire um alternative Verhaltensweisen.

Wirkt Virtual Reality?

Diese Erklärung kann man als A-priori-Evidenz für die Wirkung der Virtual-Reality-Technologie bezeichnen. Der wissenschaftliche Anspruch verlangt jedoch auch nach empirischer Evidenz für die Wirkung.

Um herauszufinden, wie und ob das Beratungstraining wirkt, wurden die Studierenden befragt. Die Daten über die Entwicklung der eigenen Beratungskompetenz durch das Virtual-Reality-Training wurden im Herbstsemester 2017, im Frühlingssemester 2018 und kürzlich wieder im Herbstsemester 2022 erhoben. Wir fragten die Studierenden, wie sie die eigene Beratungskompetenz nach dem Training insgesamt – also inklusive der Auswertung im lehrpersonenbegleiteten Peergruppengespräch – einschätzen.

Schon in der ersten Erhebung 2017/18 zeigte sich, dass das Training und das begleitende Peergruppengespräch einen statistisch signifikanten Einfluss auf die selbst eingeschätzte Beratungskompetenz vor und nach dem Training haben. Nach dem Training und dem Peergespräch schätzen sich die Studierenden signifikant besser ein als vor dem Training (vgl. Abplanalp & Bachmann, 2019). Im Herbstsemester 2022 wurde die Einschätzung der Beratungskompetenz nur nach dem Virtual-Reality-Training erhoben. Auch diese neuen Daten bestätigen die Ergebnisse der vorangehenden Erhebungen (vgl. Bachmann, Born & Zdunek, im Erscheinen). 

Herausforderung Akzeptanz

Neben der Frage, wie eine technisch unterstützten Trainingsform wirkt, stellt sich auch die Frage nach deren Akzeptanz bei den Anwender*innen. Von der Akzeptanz hängt schliesslich auch der strategische Umgang mit dieser neuen Technologie ab: Wollen wir in die immersive Virtual-Reality-Technologie investieren, die Technik und deren Anwendungen weiterentwickeln und diese in der professionellen Praxis, etwa im Rahmen von Weiterbildungen oder Dienstleistungen, etablieren? Die Frage der Akzeptanz stand im Zentrum der Erhebung im Herbstsemester 2022 (vgl. Bachmann, Born & Zdunek, im Erscheinen). Wir massen sie anhand der Einschätzung, ob die Studierenden das Training auch in Zukunft nutzen würden.

Die Ergebnisse zeigen ein neutrales, leicht positives Bild. Etwa die Hälfte der Studierenden würde das Training auch in Zukunft nutzen. Eine Erklärung für die verhaltene Zustimmung könnte der Umstand sein, dass die Studierenden das Virtual-Reality-Training jeweils zum ersten Mal nutzten. Eine wiederholte Nutzung könnte die Akzeptanz steigern. Auf alle Fälle kann die Akzeptanz der virtuellen Technologie für Trainingszwecke auch bei der Generation der Digital Natives nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. 

Die Beratungssituation wurde zum einen als künstlich, die virtuelle Wirklichkeit und das Erleben in dieser aber gleichzeitig als überraschend realistisch wahrgenommen.

Prof. Dr. André Zdunek
Prof. Dr. André Zdunek Leiter Institut Fachdidaktik, Professionsentwickliung und Digitalisierung

Wir haben auch qualitative Daten bei den Dozierenden erhoben, die die Peergruppengespräche durchgeführt haben. Hier zeigt sich, dass nicht das spezifisch Technische des Trainingssettings zentral thematisiert wurde, etwa das Erleben als beratende Person in einem Virtual-Reality-Setting und die Beratung eines Avatars statt einer Person, sondern Aspekte und Effekte des virtuellen Trainings. Dies bestärkt den Befund, dass das Virtual-Reality-Training die Reflexion von Beratungskompetenzen nicht behindert. Die Beratungssituation wurde zum einen als künstlich, die virtuelle Wirklichkeit und das Erleben in dieser aber gleichzeitig als überraschend realistisch wahrgenommen. Irritationen über die Künstlichkeit sollten daher nicht vorschnell als Grenzen des Virtual-Reality-Trainings beurteilt werden. Im Gegenteil – solche Grenzen können zur Simulation und als Verstärker der Wahrnehmung und Reflexion spezifischer Kompetenzen genutzt werden.

Für den Einsatz für die professionellen Praxis etwa im Rahmen von Weiterbildungen oder Dienstleistungen ist aufgrund der Befunde zur Akzeptanz dennoch eine gewisse Skepsis angezeigt. Es wird darüber spekuliert, dass Apple in naher Zukunft eine Virtual-Reality/Augmented-Reality-Brille lancieren wird. Wenn wir an die Revolution durch das Smartphone denken, dann könnte sich die Situation bezüglich der Akzeptanz aber schon in naher Zukunft ganz anders ausnehmen.

Literatur

  • Abplanalp, Esther & Bachmann, Manuel David. (2019). Immersive Virtual Reality und Persönlichkeitsentwicklung in Hochschulausbildungen. In Stephanie Disler, Esther Abplanalp & Judith Studer (Hrsg.), Persönlichkeitsentwicklung in Hochschulausbildungen fördern: Aktuelles aus Forschung und Praxis (S. 146–161). Bern: Haupt Verlag.
  • Bachmann, Manuel David, Abplanalp, Esther & Born, Jonas. (2019). Erfahrungen mit Virtual Reality in der Ausbildung von Sozialarbeitenden. BFH Impuls, 2019(1), 10–12. 
  • Bachmann, Manuel David, Born, Jonas & Zdunek, André. (im Erscheinen). Förderung der Beratungskompetenz durch Immersive Virtual Reality. In Marc Weinhardt (Hrsg.), Forschen, Lehren und Lernen mit Simulation. Theoretische Konzepte und empirische Befunde aus der erziehungswissenschaftlichen Professionalisierungsforschung. Weinheim: Beltz Verlag. 
  • Zdunek, André. (im Erscheinen). Praxen, Tugenden und Phronesis: ein Ansatz zur inhaltlich orientierten Reflexion zur Persönlichkeitsentwicklung. In Judith Studer, Shirin Sotoudeh & Esther Abplanalp (Hrsg.), Förderung der Persönlichkeitsentwicklung in Hochschulausbildungen. Band 2. Reflexionsprozesse verstehen und begleiten. Bern: Haupt Verlag.

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