«Am Anfang macht ein Businessplan keinen Sinn»

Bramwell Kaltenrieder war bei zahlreichen Start-ups mit dabei. Heute ist er Professor für Digital Business, Innovation und Entrepreneurship an der BFH und Mitbegründer der Firma Powdience, die eine Plattform für datenbasierte Personas anbietet.

Bramwell Kaltenrieder
«Am Anfang macht ein Businessplan keinen Sinn»

Herr Kaltenrieder, was fasziniert Sie an der Gründung von neuen Unternehmen?

Ja, wieso tut man sich das immer wieder an? (lacht.) Es gibt bekanntlich verschiedene Typen von berufstätigen Menschen. Ich gehöre zu denen, die gern neue Dinge aufbauen. Ich finde es spannend, neue Möglichkeiten zu erkennen, daraus innovative Angebote zu schaffen und so in einigen Bereichen ganz vorne mitmischen zu können. So kann man die Geschäftswelt mitgestalten und Arbeitsplätze schaffen.

Die Idee ist das Eine, die Markttauglichkeit das Andere: Wie belastend ist dieser Realitätscheck?

Er ist sicher sehr anspruchsvoll. Zum Glück ist man immer in Teams unterwegs: So kann die Erfahrung aller Beteiligten einfliessen, und im frühen Dialog mit dem Markt merkt man rasch, wenn man etwas kreiert, das es gar nicht braucht. Es ist eine Kunst, nicht zu früh in den Markt einzutreten und auch nicht zu spät bereit dafür zu sein. Es braucht Zeit, Geld und einen langen Atem, um sich in einem iterativen Prozess der Markttauglichkeit anzunähern.

Oft sind es BFH-Studierende, die neue Ideen umsetzen und Unternehmen gründen. Haben Sie als Professor da einen Vorteil?

Ein Vorteil ist sicher die unternehmerische Erfahrung. Hinzu kommt das Netzwerk: Als «alter Hase» findet man leichter Partner, die der Idee Visibilität geben und erste Kunden vermitteln können. So muss man erst später Rechenschaft vor Investoren ablegen. Die Studierenden haben aber auch Vorteile: Sie sind frischer und weniger voreingenommen. Zudem können sie den Zeitgeist manchmal besser einschätzen.

Wie ist es zur Gründung von Powdience gekommen?

Ganz ehrlich: durch einen Zufall. Mit meinem Partner bei Powdience, Mike Schwede, habe ich vor langer Zeit die Digitalagentur orange8 gegründet. Vor rund zwei Jahren sind wir uns in Biel wieder über den Weg gelaufen und haben gemerkt, dass wir an denselben Themen herumstudieren: In den Bereichen Kommunikation, Innovation, Entrepreneurship und Softwareentwicklung stösst man immer wieder auf sogenannte Personas. Das sind detaillierte Beschreibungen von fiktiven Personen, die Kundengruppen repräsentieren. Sie sind in mittleren und grösseren Unternehmen ein beliebtes Instrument, um die Kundenzentriertheit zu fördern. Dennoch werden sie oft sehr oberflächlich und mit wenig soliden Grundlagen entwickelt. Wir konnten beide nicht verstehen, weshalb man heute noch immer mit hypothetischen Personas arbeitet – und nicht mit datenbasierten. Denn so ist das Risiko hoch, dass die neue Werbekampagne oder das neue Produkt kein Interesse bei der Zielgruppe finden. Wir fragten uns also: Wie kann man die Relevanz von Personas massiv verbessern?

Die Business-Idee war also schnell da. Wie kam es dazu, sie tatsächlich umzusetzen?

Mike Schwede hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen Prototyp entwickelt, mit dem man Personas mit Facebook-Daten abgleichen konnte. Und ich hatte mit Studierenden ein Projekt zu datenbasierten Personas lanciert. Wir waren beide sehr überzeugt von der Relevanz der Idee. Heute hat man durch CRM, Google Analytics, Newsletter und viele andere Tools immer mehr Daten über die Kunden: Wieso sollte man diese Daten nicht verwenden, um Personas für das Unternehmen zu entwickeln? Es schien uns einfach logisch.

Welche Rolle spielte dabei die BFH?

Die Zusammenarbeit mit der BFH war sehr wichtig: Wir konnten unser Projekt als Bachelorarbeit ausschreiben. Zwei Studierende haben sich gemeldet und die Idee gemeinsam mit Powdience substanziell vorangetrieben. Sie haben Kundenbefragungen durchgeführt und ausgewertet sowie mit dem Team konzeptionelle Ansätze einer Lösung erarbeitet. Diese Erkenntnisse sind direkt in die Entwicklung der Plattform Powdience eingeflossen. Es war eine Win-win-Situation: Die Studierenden hatten Freude an der einmaligen Chance, an einem realen Start-Up-Projekt mitzuarbeiten. Und Powdience konnte stark davon profitieren. Jedes Unternehmen hat übrigens die Möglichkeit, Themen für Semester- und Bachelorarbeiten an der BFH auszuschreiben. Durch solche Kooperationen schafft die BFH einen echten Mehrwert für die Wirtschaft. Wichtig für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist eine konsequente Begleitung des Projekts: Die Studierenden sind sehr motiviert und verfügen bereits über viele Kompetenzen, in der praktischen Umsetzung brauchen sie aber verständlicherweise noch etwas Unterstützung. Zusätzlich stellt die BFH Start-ups Räumlichkeiten im Spin-off-Park Büros zu sehr fairen Bedingungen zur Verfügung.

Sie suchen weiterhin Investoren. Die Suche nach Geldern kennzeichnet die meisten Start-ups. Haben Sie da spezielle Tipps?

Nach Möglichkeit finanziert das Gründungsteam die ersten Schritte inklusive einer Marktvalidierung ohne Drittmittel. So kann man sich zu Beginn echt auf das neue Angebot und die Kunden fokussieren und hat nicht zu früh anstrengende Diskussionen über Businesspläne und dergleichen. Ist dann eine erste Lösung und Nachfrage vorhanden, fällt die Diskussion mit potenziellen Geldgebern viel leichter. Idealerweise arbeitet man mit Investoren, die das Start-up aktiv unterstützen. Sind sie etwa in ähnlichen Themenbereichen vernetzt, können sie wichtige Türöffner sein, Sichtbarkeit verleihen und vor allem die Glaubwürdigkeit steigern. Die Vertrauenskomponente ist im Start-up-Umfeld extrem wichtig. Ein guter Investor bringt somit nicht nur Geld ein.

Sie sind mittlerweile ein Experte für Start-ups. Welche Fehler sollte man vermeiden?

Ganz wichtig: Am Anfang macht ein Businessplan noch keinen Sinn. Man sollte sich nicht dazu nötigen lassen. Viel wichtiger ist es, zuerst validierte Interviews, Daten aus dem Markt oder Reaktionen auf erste Prototypen vorlegen zu können. Zudem sollte man sich nicht auf die Planung versteifen, sondern iterativ vorgehen und Ideen über Bord werfen, die am Anfang logisch schienen. Gerade wenn man Erfahrung hat, darf man nie denken, dass man weiss, wie ein bestimmter Markt tickt. Auch auf Erfahrungen und Meinungen anderer sollte man nicht blind vertrauen, sondern mit einer gewissen Neugier selber Daten, Erkenntnisse und Überzeugungen entwickeln. Ein weiterer wichtiger Punkt: Wer ein Start-up gründet, sollte nicht ans grosse Geld denken: Wenn man primär Umsatz machen und reich werden will, klappt das selten. Wirtschaftlicher Erfolg ist nur das Resultat eines differenzierenden Angebots, das Nutzen stiftet und gut vermarktet wird. Eine Gefahr für Start-ups ist auch Selbstverliebtheit: Es lohnt sich, sehr früh realistisch und selbstkritisch zu sein. Vielleicht ist die Idee zwar toll, aber der Markt ist schlicht zu klein. Fakt ist: Neun von zehn Start-ups scheitern. Bei aller Faszination fürs Gründen: Hat man eine Idee, kann man diese prüfen und sich allenfalls auch dagegen entscheiden. Denn es gilt wie überall: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

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