Kompetenzen gegen den Fachkräftemangel vermitteln

23.11.2022 Gegen den Fachkräftemangel braucht es nicht nur die Ausbildung neuer, hochqualifizierter Gesundheitsfachpersonen. Ebenso wichtig ist es, den Nachwuchs mit Kompetenzen auszustatten, mit denen er für die hohen Anforderungen in der Praxis gerüstet ist. Forschende eines Kompetenznetzwerks unter dem Lead der BFH haben untersucht, wie es in der Schweiz um die Vermittlung dieser Kompetenzen steht und wo es Nachholbedarf gibt.

Fachkräftemangel durch hohe Austrittsquoten

Karrieren im Gesundheitswesen können an verschiedenen Faktoren scheitern. Mehrfachbelastungen durch Ausbildung und Praxis, eine ungenügende Vorbereitung auf die Berufswelt während der Ausbildung oder die Diskrepanz zwischen den eigenen Ansprüchen und den tatsächlichen Rahmenbedingungen sind nur einige davon. Hebammen wiesen mit 43.4% zwischen 2016 und 2018 die höchsten Austrittsquoten unter den Gesundheitsfachpersonen in der Schweiz auf, dicht gefolgt von Pflegenden mit 42.5%.

Damit neues Gesundheitspersonal erfolgreich im Beruf bleiben kann, braucht es auch fachübergreifende Kompetenzen. Solche betreffen etwa die Arbeitskultur, die interprofessionelle Kommunikation, den Umgang mit Diversität in Teams, die Fähigkeit zur Bewältigung komplexer Aufgaben oder die Selbstfürsorge.

Wie steht es hier um die Praxis? Werden die Kompetenzen, die es im Alltag von Gesundheitsberufen braucht, in den verschiedenen Lehrplänen in Schweizer Fachhochschulen genügend vermittelt? Mit qualitativen Fokusgruppeninterviews und Knowledge Mapping hat das Kompetenznetzwerk Competence Network Health Workforce (CNHW) dies untersucht. Eine Mehrheit der Leiterinnen und Leiter von Studiengängen in Gesundheitsberufen in der Schweiz konnte für die Interviews gewonnen werden.

Erschöpftes Pflegepersonal

Von Selbstfürsorge bis Arbeitsrecht

Lücken sehen die Studienautorinnen und -autoren insbesondere beim Stressmanagement und der persönlichen Gesundheitsförderung. Oft würde implizit erwartet, dass Studierende patientenbezogenes Wissen – beispielsweise über Stress, Rückenprobleme oder Ernährung - selbstständig auf sich selbst übertragen. Es wird jedoch nicht explizit gefördert und gelehrt, wie sie auch auf sich selber achtgeben können. Nachholbedarf sieht die Studie auch bei der Zusammenarbeit in vielfältigen Teams. Das sind Gruppen, die sich aus verschiedenen Qualifikationsstufen, Ausbildungen oder Generationen zusammensetzen.

Das Autorenteam bemängelt auch eine unzureichende Wissensvermittlung über die Mechanismen der Gesundheitspolitik. Damit verbunden wäre ein besseres Verständnis von Löhnen, Stellenmarktsituation und der Fähigkeit, sich berufspolitisch zu positionieren. Zudem fehlten wirtschaftliche Kompetenzen in den Lehrplänen weitgehend, wie das Verständnis der eigenen Rolle im Finanzfluss des Gesundheitssystems oder der Leistungsberechnung für selbstständig Tätige. Auch die gezielte Vermittlung arbeitsrechtlicher und digitaler Kompetenzen würde die Position der Gesundheitsprofis stärken, sind die Autor*innen der Studie überzeugt.

Heterogene Lehrpläne, gemeinsame Baustellen

Insgesamt sind die Lehrpläne für Gesundheitsberufe an Schweizer Fachhochschulen heterogen. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie alle zu wenig Kompetenzen im Hinblick auf die Herausforderungen im Berufsalltag von Gesundheitsberufen entwickeln. Ein nationaler Austausch, um Inhalte zu harmonisieren und gegenseitig voneinander zu lernen, drängt sich laut den Studienautorinnen und -autoren darum auf.

Die Untersuchung zeigt, wo Lücken bestehen und welche Themen in die Lehrpläne integriert werden müssen, wenn man dem Fachkräftemangel nachhaltig begegnen und der Gesundheit des Gesundheitspersonals Sorge tragen will. Die Autor*innen weisen darauf hin, dass insbesondere weiterführende Angebote für Studierende – wie Begleitung beim Transfer von der Theorie in die Praxis oder Nachbesprechung von Praktika – schon viel dazu beitragen könnten, deren praktische Kompetenzen zu verbessern. 

Hier geht es zu den detaillierten Informationen und Resultate der Studie.

Der Verein CNHW wurde gegründet, um der Bearbeitung des wichtigen Themas Fachkräftemangel und Fachkräfteverbleib unter den Fachhochschulen geeint zu begegnen. Neben der BFH engagieren sich verschiedene Bundesstellen und weitere Fachhochschulen in diesem Kompetenznetzwerk, das von der BFH koordiniert wird. Um die Thematik national voranzutreiben, sind weitere Organisationen eingeladen, sich dem Verein anzuschliessen.

Was seit 2018 entwickelt wurde

Die im Haupttext diskutierte Studienergebnisse beruhen auf einer Umfrage aus dem Jahr 2018.

Mehrere speziell auf die interprofessionelle Zusammenarbeit ausgerichteten Module bietet die BFH ihren Bachelor-Studierenden bereits seit 2020 an. Hier lernen angehende Pflege-, Geburtshilfe-, Physiotherapie- oder Ernährungs- und Diätetik-Fachpersonen, wie sie erfolgreich mit Kolleginnen und Kollegen anderer Gesundheitsberufe zusammenarbeiten. Welche Einstellungen, welche Kompetenzen und Kommunikationsskills braucht es dafür? Die gleichberechtigte und partnerschaftliche Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen steht dabei im Zentrum. Ebenso wie das Wohl der Patientinnen, Kunden und deren Umfeld gemeinsames oberstes Ziel bleibt.

Mehr Infos über interprofessionelle Kompetenzen im Bachelor-Studium an der Berner Fachhochschule: Fachstelle für interprofessionelle Lehre

Neues Curriculum im Jahr 2026

Die Bachelor-Studiengänge des Departements Gesundheit der BFH werden gegenwärtig einer umfassenden Revision unterzogen. Diese Revision nennt sich FLINC. Die Abkürzung steht für flexibles, integriertes Curriculum. Damit sind die wichtigsten Stossrichtungen definiert. Die Implementierung ist auf das Studienjahr 26/27 geplant.

Inhaltliche Schwerpunkte werden auf integrierter Versorgung, Interprofessionalität und hohe professionsspezifische Kompetenzen gesetzt. Um Synergien zu nutzen, werden alle Bachelor-Programme gleichzeitig überarbeitet. Was sich bewährt hat, bleibt auch weiterhin drin. Gleichzeitig werden neue Bedürfnisse und Entwicklungen berücksichtigt. Viele Studierende wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf sowie mehr Flexibilität in der Studiumsgestaltung. Auch gilt es den Wandel hin zu mehr digitalen Lehr- und Lernformen, wie er durch die Pandemie stark vorangetrieben wurde, zu integrieren und für alle fruchtbar zu machen. Gleichzeitig dürfen «echte Begegnungen» sowie eine fundierte Praxisausbildung nicht zu kurz kommen.

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