Physiotherapie in palliativen Situationen

21.03.2023 Was ist die Aufgabe von Physiotherapeut*innen in palliativen Situationen? Welche Ziele hat die Behandlung? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der Fachkurs «Physiotherapie in der Palliativ-Medizin». Alex Vaida hat den Kurs absolviert und berichtet von seinem Lernprozess.

Alex Vaida hat in seiner 28-jährigen Tätigkeit als Physiotherapeut in verschiedenen Institutionen gearbeitet. Dabei zeichnete sich seine Spezialisierung früh ab. In den 1990er Jahren betreute er im Kantonsspital Aarau Krebspatient*innen auf der neu geschaffenen Leukämiestation. In seiner Praxistätigkeit in Baden besuchte er häufig ältere Patient*innen zu Hause. Und in der Zeit in der Klinik Bad Zurzach half er beim Aufbau der geriatrischen Rehabilitation. «Ich habe schon immer mit älteren Menschen, chronisch oder schwer kranken Patient*innen gearbeitet», so Alex Vaida. Vor über vier Jahren beschloss er dann, eine eigene Praxis für Domizil-Physiotherapie zu eröffnen. Durch die Weiterentwicklung der Palliativ-Medizin betreute er zunehmend onkologische und Palliativ-Patient*innen in ihrer häuslichen Umgebung. Und ihm wurde klar, dass er die Betreuung spezifischer angehen möchte: «Als ich sah, dass die BFH erstmalig einen Fachkurs zum Thema anbietet, habe ich die Gelegenheit sofort gepackt.»

Eine vielseitige Rolle

Die Physiotherapie, schätzt Alex Vaida ein, entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten Richtung Aktivität und Mobilisation und eher weg von den passiven Massnahmen. Der Fachkurs habe jedoch aufgezeigt, dass sich bei der Palliativbehandlung die aktiven und passiven Massnahmen die Waage halten. «Die passiven Massnahmen, seien es Entspannungstherapien, Massagen oder Lymphdrainagen, sind in palliativen Situationen nicht nur beruhigend, sondern auch therapeutisch sinnvoll und hilfreich», so Alex Vaida.
Im Fachkurs erhielten die Absolvent*innen einen Überblick über alle möglichen Interventionen im Palliativsetting, z.B. Lagerung oder Atemschulung. Es wurden aber auch psychologische, soziologische und ethische Aspekte besprochen. «Diese Vielseitigkeit habe ich sehr geschätzt», sagt Alex Vaida. «Das waren nicht unbedingt Themen, die ich in der Grundausbildung mitbekam. Mit chronisch kranken und sterbenskranken Menschen ist eine ganzheitliche Betrachtung aber besonders wichtig.» So gehöre es auch oft zu seinen Aufgaben, die Angehörigen und andere betreuende Fachpersonen anzusprechen oder zusätzlich die Krebsliga Aargau oder den regionalen Palliativ-Spitex-Dienst zu involvieren.

Die Intensität des Fachkurses habe die Teilnehmenden zuerst etwas überrascht. Zum Fachkurs gehören eine Hospitation, eine Fallarbeit und viel Lernstoff. «Wenn man schon etwas länger praktisch tätig ist, ist man sich das nicht mehr so gewohnt. Ich war gefordert, mich aktiv einzubringen. Aber das hat mich auch weitergebracht», so Alex Vaidas Rückblick.

Die Vernetzung als A&O der Palliativ-Medizin

Während seiner Hospitation im Luzerner Kantonsspital traf er eine gut organisierte Palliativstation an. Ihn beeindruckte vor allem die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die sowohl stationär als auch ambulant gefördert wird: «Nur so funktioniert meiner Ansicht nach die Palliativpflege.»
Schon vor dem Fachkurs war Alex Vaida vernetzend tätig. Neben seiner praktischen Arbeit ist er auch verbandsintern tätig und moderiert den Qualitätszirkel «Physiotherapie in der Geriatrie». Alex Vaida findet, dass dies genauso zum Beruf gehört wie das Behandeln: «Die Vernetzungsarbeit finde ich sehr motivierend.» Der Fachkurs habe ihm einen zusätzlichen Anstoss gegeben, die Interdisziplinarität zu fördern. So hat er beispielsweise mit der Palliativ-Spitex Kontakt aufgenommen, was sich sehr bewährte. Vielen Pflegenden sei nicht bewusst, dass Physiotherapeut*innen auch bei schwer kranken, sehr komplexen Patient*innen im Domizil-Setting zum Einsatz kommen.

Den Therapiewunsch erkennen

«Bei den Patient*innen selbst setze ich vermehrt palliative und physikalische Massnahmen ein – parallel zur aktiven Förderung», meint Alex Vaida auf die Frage, was sich an seiner Arbeit seit dem Kurs verändert hat. Er passe seine Behandlung stark an den Zustand der Patient*innen an. «Wenn ich eine Patientin habe mit einer Gelenksproblematik, dann konzentriere ich mich auf muskuloskelettale Massnahmen. Bei palliativen Patient*innen ist nicht immer offensichtlich, was für sie akut ist. Ist es der Schmerz, ist es der Sterbenswunsch oder ist es der Wunsch nach Aktivierung?» Gerade, wenn er das erste Mal vor Ort ist, findet Alex Vaida das herausfordernd und spannend zugleich. «Ich trete in das Leben und die Privatsphäre eines Menschen ein. Dabei kann ich nicht nur Fachperson bleiben, sondern bin auch menschlich involviert.» Hier gelte es, die Sinne zu schärfen, um den therapeutischen Wunsch herauszufinden. «Das ist nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Der Fachkurs hat mir dabei geholfen, dies besser einzuschätzen und noch stärker zu gewichten.»

Der Fachkurs habe sich durch eine hohe Professionalität ausgezeichnet. Vaida empfiehlt ihn all seinen Kolleg*innen, die sich für palliative Behandlung und für die Behandlung von komplexen Patient*innen interessieren, unabhängig vom Wissensstand: «Trotz meiner fast 30-jährigen Berufserfahrung bin ich sehr dankbar, dass ich beim Fachkurs dabei war.»

«Bei palliativen Patient*innen ist nicht immer offensichtlich, was für sie akut ist. Ist es der Schmerz, ist es der Sterbenswunsch oder ist es der Wunsch nach Aktivierung?»

Alex Vaida
Physiotherapeut Alex Vaida, hier in den Räumlichkeiten der Krebsliga Aargau. Foto: BFH

Mehr erfahren

Fachgebiet: Gesundheit, Gesundheitstechnologien + Public Health, Physiotherapie + Rehabilitation