Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen stärken und unterstützen

28.09.2023 Betreuende Angehörige von psychisch Erkrankten leisten eine wichtige, aber oft auch belastende Arbeit. Um sie dabei zu unterstützen, werden zunehmend Angebote geschaffen. Eine Befragung zeigt, was sich bei der Angehörigenarbeit in Zukunft noch ändern sollte.

In der Schweiz wissen wir: Knapp 8 Prozent der Bevölkerung betreuen eine nahestehende Person mit einem Gesundheitsproblem. Sie sind sogenannte betreuende Angehörige und unterstützen in administrativen und koordinativen Belangen, leisten Hilfe im Alltag und bieten emotionale und soziale Unterstützung. Rund ein Fünftel der betreuenden Angehörigen unterstützt eine nahestehende Person mit einer psychischen Erkrankung (Otto et al., 2019). Sie leisten massgebliche und wichtige Care-Arbeit, die mitunter zum Genesungsprozess der Betroffenen beiträgt.

Illustration mit zwei Köpfen, sie mit dem Hinterkopf durch farbige Pflanzen miteinander verbunden sind. Sie schauen in entgegengesetzte Richtung. Eine Person wirkt traurig, die andere gefestigt.
Psychische Erkrankungen sind für die Angehörigen emotional belastend. In ihrem Alltag stellen sie sich folgende Fragen: Wie kann ich bestmöglich unterstützen und mit der Situation umgehen? An wen kann ich mich bei Fragen und in überfordernden Momenten wenden? Bild: AdobeStock

Professionalisierung der Angehörigenarbeit

Nicht selten sind psychische Erkrankungen für die Angehörigen emotional sehr belastend. Die Angehörigenberatung bietet ihnen Hilfestellung, um mit schwierigen Situationen besser umzugehen. Das Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie (NAP) setzt sich seit 2006 für die Vernetzung von Fachleuten und die Professionalisierung der Angehörigenarbeit in der psychiatrischen Versorgung ein. Zwischen 2020 und 2021 führte das NAP eine Zufriedenheitsbefragung bei Personen durch, die eine Angehörigenberatung durch eine Fachperson erhalten haben. Dabei wurden quantitative und qualitative Daten erhoben. Die Berner Fachhochschule (BFH) hat die Analyse der qualitativen Ergebnisse durchgeführt und den Schlussbericht mitverfasst.
 

Die Herausforderungen der Angehörigen 

Die befragten Angehörigen beschreiben sich selbst als «mitbetroffen» in der Betreuung und Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. In ihrem Alltag stellen sie sich folgende Fragen: Wie kann ich bestmöglich unterstützen und mit der Situation umgehen? An wen kann ich mich bei Fragen und in überfordernden Momenten wenden?
 

«Wir wurden früher sehr oft mit unseren Sorgen allein gelassen, mussten unseren Weg selbst finden und sind oft gescheitert […]»

Angehörige Person

Die Angehörigen geraten in Situationen, in denen sie nicht mehr weiterwissen und keine Lösungsperspektive mehr sehen. Dies löst negative Gefühle wie Hilflosigkeit und Überforderung aus und sie fühlen sich nicht gesehen und gehört. Zudem führen intrinsische und extrinsische Erwartungen zu einem Rollenkonflikt. Die bisherige Zusammenarbeit mit Fachpersonen wurde zum Teil als nicht hilfreich empfunden, es fehlten u. a. ausreichende Gespräche und Angebote für sie als Angehörige. Auch die Möglichkeit der (kostenlosen) Angehörigenberatung war ihnen teilweise nicht bekannt. Finanzielle Hürden hielten manche davon ab, Unterstützung für ihre Fragen und Informationsbedürfnisse in Anspruch zu nehmen. Es fehlte an Hilfeleistungen, sei es in Form von Hilfsangeboten und Gesprächen mit Fachleuten oder der Finanzierung von Angeboten durch die Krankenkassen. Die Angehörigen wünschen sich generell mehr Informationen, insbesondere über ihre Rechte, den Umgang mit den Betroffenen und der Erkrankung sowie Aufklärung über ihre Rolle im Geschehen.

Wie können Fachpersonen Angehörige begleiten?

Das zentrale Problem der Angehörigen ist der Mangel an Information und Kommunikation zwischen Fachpersonen und Angehörigen (Manike & Kraft, 2020). Deshalb ist es wichtig, die Angehörigen als «Mitbetroffene» von Anfang an in das Geschehen rund um die Betroffenen einzubeziehen. Angehörige sollten von Fachpersonen und Behandlungsteams «gesehen» und mit ihren Sorgen und Fragen ernst genommen werden. Auch der Hinweis auf spezialisierte Angebote wie die Angehörigenberatung kann Angehörigen helfen, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu akzeptieren. Angehörige berichten, dass sie nach den Beratungen wieder Mut, Zuversicht und Hoffnung schöpften und Selbstzweifel und Schuldgefühle abnahmen. 
 

«Wir wurden sehr bestärkt in unserem Verhalten dem erkrankten Sohn gegenüber. Mir wurden Möglichkeiten aufgezeigt, wie ich mich als Mutter stärken kann und mein eigenes Leben wieder in den Fokus stelle.»

Angehörige Person

Die Angehörigenbefragung hat eine grosse Not und einen ungedeckten Bedarf an Hilfsangeboten für Angehörige psychisch kranker Menschen aufgezeigt. Das Bewusstsein für deren Bedürfnisse muss weiter geschärft werden, damit Angehörigenarbeit Teil einer modernen (psychiatrischen) Behandlung wird. Denn gut informierte und unterstützte Angehörige sind kompetente Partner*innen im Genesungsprozess der Betroffenen. 

Mehr Informationen

Die ausführlichen Ergebnisse der Umfrage sind online auf der Website der Angehörigenarbeit Schweiz zugänglich.
 

Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie (NAP)

Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie (NAP)

Der Verein «Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie» (NAP) bezweckt die Professionalisierung und Vernetzung von Fachleuten, die in psychiatrischen Institutionen in der Angehörigenarbeit tätig sind. Es ist Aufgabe des Vereins, den Stellenwert der Angehörigenarbeit in der psychiatrischen Versorgung und Behandlung zu erhöhen und das Wissen unter Fachpersonen zu fördern. Im Jahr 2022 zählte NAP 33 Institutionen, 19 Einzelpersonen und 5 Gönner zu ihren Mitgliedern.

Referenzen

  • Manike, K., & Kraft, E. (2020). Bedürfnisse von Angehörigen mit psychisch erkrankten suizidalen Personen in ihrem Umfeld. Empfehlungen zur Unterstützung der Angehörigen für Kliniken und Fachpersonen im Bereich der stationären Psychiatrie.
  • Otto, U., Leu, A., Bischofberger, I., Gerlich, R., Riguzzi, M., Jans, C. & Golder, L. (2019). Bedürfnisse und Bedarf von betreuenden Angehörigen nach Unterstützung und Entlastung – eine Bevölkerungsbefragung. Schlussbericht des Forschungsprojekts G01a des Förderprogramms Entlastungsangebote für betreuende Angehörige 2017-2020. Im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG), Bern. Zürich.

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Fachgebiet: Pflege, Caring Society + Alter