«Wir müssen unser Essen neu denken»

08.12.2022 Gesund für Mensch und Planet: Mit der Planetary Health Diet liessen sich dereinst zehn Milliarden Menschen nachhaltig ernähren. Ernährungsexpertin Sonja Schönberg erklärt, was es für die Umsetzung braucht und welche Rolle die BFH dabei spielt.

In ihrem Bericht von 2019 präsentierte die EAT-Lancet Commission nicht weniger als die Zukunft der Ernährung. Ihre Planetary Health Diet ist ein wissenschaftlich erarbeiteter Speiseplan, bei dem die Gesundheit im Zentrum steht; die Gesundheit der Menschen und die Gesundheit des Planeten.

Sonja Schönberg, weshalb ist es aus ökologischer Sicht so wichtig, wie wir uns ernähren?

Was wir essen, entscheidet nicht nur über unsere eigene Gesundheit, sondern auch über die Gesundheit der Natur, die uns mit unseren ‹Mitteln zum Leben› versorgt. Unsere Ernährungsweise ist der stärkste Hebel, mit dem wir als Individuen das Klima und die Ökosysteme der Erde beeinflussen können. Aktuell ist dieser Hebel in der falschen Stellung. Die Lebensmittelproduktion überlastet die planetaren Ressourcen, während gleichzeitig ein Grossteil der Menschen auf der Welt über- oder unterernährt ist.
Dabei wäre eine gesunde Ernährung wichtiger denn je. In unseren Breitengraden nehmen Übergewicht und damit assoziierte Erkrankungen zu. So hat zum Beispiel eine Person mit Herz-Kreislauf-Problemen ein deutlich höheres Risiko, Auswirkungen des Klimawandels wie Hitzeperioden nicht zu überstehen.
Kurz gesagt: Weiter wie bisher ist keine Option. Wir müssen den Hebel umlegen.

Warum ist die Planetary Health Diet die richtige Hebelstellung?

Weil sie aus der genannten Problemlage abgeleitet wurde. Die Forschenden der EAT-Lancet Commission haben vereinfacht gesagt zwei Grössen berechnet und verbunden.
Erstens: Welche Lebensmittelproduktion ist innerhalb der planetaren Grenzen möglich – also zum Beispiel ohne Überdüngung, ohne Biodiversitätsverlust, ohne Klimaschädigung.
Zweitens: Welche Lebensmittelversorgung braucht es, um die 10 Milliarden Menschen gesund zu ernähren, die 2050 voraussichtlich auf der Erde leben werden.
Die Planetary Health Diet ist die Schnittmenge daraus. Ein Ernährungsplan, der beides verbindet: Gesundheit für den Planeten und die Menschen, die darauf wohnen.

Wie genau sieht die Planetary Health Diet aus? Schreibt sie eine vegane Ernährung vor?

Sie ist eher das, was man als flexitarische Diät bezeichnet und ähnelt in wesentlichen Punkten den uns vertrauten Ernährungsempfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung. Die Planetary Health Diet quantifiziert zusätzlich, wie sehr Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs die Umwelt entlasten können. Für die Schweizer Ernährungsgewohnheiten bedeutet dies: wir sollten den Anteil pflanzlicher Lebensmittel wie Gemüse, Früchte, Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide und Nüsse in unserer Ernährung etwa verdoppeln und den Anteil der Lebensmittel tierischen Ursprungs wie Fleisch, Milchprodukte und Eier halbieren.

Wie ist eine weltweite Ernährungsumstellung überhaupt möglich?

Wir haben jetzt ein globales Ziel, aber umsetzen müssen wir den Ernährungswandel lokal. Die Planetary Health Diet versteht sich nicht als weltweit gültige Einheitsernährung. Sie gibt einen Rahmen vor und betont, dass die Umsetzung konkreter Massnahmen an örtliche Begebenheiten angepasst werden muss. Was ist in unserer Klimazone eine gesunde Ernährungsweise? Welche Lebensmittelproduktion ist in der Schweiz sinnvoll? Wie vereinbaren wir eine Umstellung mit unserer Landwirtschaft und unserer Ernährungskultur? Diese Diskussionen müssen wir führen.

Wird das reichen?

Nein, es wird als Resultat dieser Diskussionen auch politische Massnahmen brauchen. Sprich Gesetze.

Was geschieht diesbezüglich aktuell in der Schweiz?

Hier läuft unter dem Namen Ernährungszukunft Schweiz ein breit abgestützter Dialog. Dabei erarbeiten unter anderem ein wissenschaftliches Gremium und ein sogenannten Bürger:innenrat Empfehlungen.

Sie vertreten die BFH im wissenschaftlichen Gremium.

Genau. Das Gremium besteht aus rund drei Dutzend Forschenden aus verschiedenen Fachbereichen. Wir erarbeiten Lösungswege für ein nachhaltigeres Ernährungssystem in der Schweiz. Die Ergebnisse sind für die Politik bestimmt und werden am 2. Februar 2023 am Nationalen Ernährungssystemgipfel in Bern präsentiert.

Was hat es mit dem Bürger:innenrat auf sich?

Die Diskussion um die Ernährungszukunft soll nicht ausschliesslich in Wissenschaft und Politik geführt werden. Deshalb wurden gut 80 Personen aus der Schweizer Wohnbevölkerung zufällig ausgewählt, um ebenfalls Empfehlungen für die Schweizer Ernährungspolitik zu erarbeiten. Der Bürger:innenrat hat seine Ergebnisse bereits vorgestellt.

Planetary Health an der BFH

Die Interviewpartnerin

Sonja Schoenberg Portraet

Sonja Schönberg ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Ernährung und Diätetik am Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule BFH. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind die nachhaltige Ernährung und Planetary Health.

CAS Nachhaltige Ernährung

Werden Sie Teil der Lösung. Diese Weiterbildung vermittelt die Komplexität der nachhaltigen Ernährung und befähigt Sie, an der Transformation mitzuarbeiten.

Dauer: 15 Studientage
Unterrichtstage: Fr, Sa
Kosten: CHF 5'800
Nächste Durchführung: November 2023 bis Juni 2024

Weitere Informationen zum CAS-Studiengang

Bürger:innenrat – die Empfehlungen

Anfang November 2022 hat der Bürger:innenrat, bestehend aus 80 Vertreter*innen der Schweizer Bevölkerung, insgesamt 127 Empfehlungen für die Ernährungspolitik der Zukunft vorgestellt. Sie umfassen unter anderem folgende Themen:

  • Sensibilisierung der Bevölkerung und bessere Informationen für Konstument*innen
  • Mehr pflanzliche Ernährung und eine Reduktion des Zuckerkonsums
  • Förderung gesunder Lebensmittel und nachhaltiger Produktion durch finanzielle Anreize
  • Standortgerechte Landwirtschaft und faire Entlohnung für Produzent*innen
  • Verantwortung der Grosskonzerne und Reduktion von Food Waste

Die Empfehlungen des Bürger:innenrats im Detail

Warum engagiert sich das Departement Gesundheit der BFH für nachhaltige Ernährung?

Als öffentliche Bildungs- und Wissenschaftsinstitution tragen wir Verantwortung. Unsere Ernährung- und Diätetik-Studierenden werden später beraten, kommunizieren, forschen und zum Beispiel im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung arbeiten. Diese künftigen Expert*innen, werden die globalen Ziele zur nachhaltigen Ernährung lokal in die Praxis umsetzen.

Was unternimmt das Departement Gesundheit der BFH, um die Planetary Health Diet und überhaupt das Konzept Planetary Health den Studierenden zu vermitteln?

Wir bieten den spezialisierten CAS-Studiengang Nachhaltige Ernährung an. Aber auch in unsere Studiengänge auf Bachelorstufe haben wir entsprechende Inhalte integriert. Planetary Health ist zudem Teil unserer Forschung und Gegenstand von Abschlussarbeiten.
Ausserdem arbeiten wir in diesem Thema stark fachübergreifend. Zum Beispiel organisieren wir im Frühlingssemester Webinare für Mitarbeitende – zur umweltbewussten Gesundheitsversorgung, Planetary Health und der Rolle des Departements Gesundheit.  Des Weiteren stehen in Kürze Materialien zu Planetary Health für den Wissenstransfer in Lehre und Forschung bereit. Und wir haben ein BFH-Diagonal-Wahlmodul zu Planetary Health, in dem Studierende aller BFH-Departemente eigene Projekte mit einem realen Nutzen interdisziplinär und lokal umsetzen. Eine Studierendengruppe hat dieses Jahr zum Beispiel einen öffentlichen Kühlschrank für Foodsharing in einem Quartier lanciert.

Mehr erfahren